Ein Hinweis vorneweg: Dies ist meine persönliche Meinung und als solche eine Momentaufnahme und Produkt meines derzeitigen Wissensstands, die/das ich jetzt, auch auf die Gefahr hin, mir nicht unbedingt Freunde zu schaffen, einfach mal loswerden will. Dieser Post stellt keinerlei Anspruch auf Richtigkeit oder Relevanz und ist nicht als Plädoyer gedacht, weder für noch gegen Wikileaks oder seine Gegner. Des Weiteren werde ich nicht näher auf die Person Julian Assange und nur so wenig wie möglich auf die Anklage gegen ihn eingehen. Solange kein Gericht ein Urteil über ihn gefällt hat, werde ich das auch nicht tun. In dubio pro reo.
Los geht's nach dem Sprung.
Los geht's nach dem Sprung.
Es brodelt im world wide web und, selbst wenn ich es wollte, es scheint nicht möglich, darin herumzuschnorcheln, ohne täglich über etwas bezüglich Wikileaks zu stolpern. Die Stimmung in der Netzcommunity scheint einhellig: „Internet gut, Rest böse...und spießig sowieso!“ Aber der Reihe nach.
Wikileaks schreibt über sich selbst:
WikiLeaks is a not-for-profit media organisation. Our goal is to bring important news and information to the public. We provide an innovative, secure and anonymous way for sources to leak information to our journalists (our electronic drop box). One of our most important activities is to publish original source material alongside our news stories so readers and historians alike can see evidence of the truth.
Wahrheit und nichts als die Wahrheit, das scheint das Mantra von Wikileaks. So weit, so gut. Viele der Leaks, die Wikileaks bislang veröffentlicht hat waren auch gut und wichtig (z.B. die Scientology-Dokumente, der Kunduz-Feldjäger-Report und die Videoaufnahmen aus dem amerikanischen Kampfhubschrauber).
Aber weshalb macht Wikileaks, was es macht? Um größtmögliche Transparenz zu schaffen, damit seine User sich ein fundiertes Urteil von einem Sachverhalt machen können? Der 100%-ige Wahrheitsgehalt von Informationen ist dafür wichtig, aber längst nicht alles.
Auch, wenn man nur die Wahrheit sagt, kann man die Meinungsbildung seines Publikums steuern, indem man seine Informationen geschickt auswählt. Für ein wirklich fundiertes Bild ist von Bedeutung, dass man die volle Wahrheit erfährt. Und das ist auch bei Wikileaks nicht der Fall, wie schon an dem Satz „Our goal is to bring important news and information to the public.“ zu erkennen ist, da wird gefiltert und geschnitten. Berichte sind immer durch den Berichterstatter gefiltert, wahrhaft vollkommene Information erlangt man nur durch eigenes Erfahren, streng genommen nicht einmal dann, denn unser Gehirn filtert schon unbewusst, bevor wir überhaupt wahrnehmen. Die uneingeschränkte Information kann also nicht ernsthaft das Ziel von Wikileaks sein
Was ist es dann? Mein Eindruck ist, dass die Filterung bei Wikileaks einem Wertesystem folgt, dass meinem recht ähnlich ist und eine Welt mit weniger dunklen Machenschaften, mehr Demokratie und weniger Krieg als Ziel hat. Knorke, da bin ich dabei! Warum dann aber „Cablegate“, der Tropfen, der offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht hat und letztendlich verantwortlich für das derzeitige Dampfen der Kacke zu sein scheint.
Schon alleine den Namen „Cablegate“ finde ich extrem unglücklich gewählt. Zwar gibt es eine Reihe von Skandalen und Skandälchen, die mit diversen Gate-Wortschöpfungen betitelt wurden, zurück gehen die alle aber auf die Watergate-Affäre, deren größter Aufreger war, dass Richard Nixon vor der Präsidentschaftswahl 1972 in das Hauptquartier der demokratischen Partei einbrechen und dort Wanzen installieren und interne Dokumente fotografieren ließ. Nüchtern betrachtet gar nicht so verschieden von dem, was Wikileaks so macht, wenn auch mit deutlich verwerflicherem Ziel. Watergate jedenfalls war ein ausgewachsener Skandal und dessen Aufdeckung eine Sensation. Und „Cablegate“? Welche wichtigen Erkenntnisse hat die Welt durch die Veröffentlichung der Depeschen gewonnen? So gut wie gar keine! Wie es der US-Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, durchaus treffend formuliert hat:
„Ist die Welt nun sicherer? Ist sie weniger kompliziert? Sind wir deswegen jetzt an einem besseren Ort? Die Antwort ist leider: Nein, nein und nein! […] das hat die Welt komplizierter gemacht, und das heißt nichts Gutes.“
Soweit ich das überblicke sind die einzigen wirklichen Überraschungen, die „Cablegate“ geliefert hat, dass China das Schicksal des Genossen Nordkorea gepflegt am Allerwertesten vorbeigeht, und dass diverse arabische Staaten sich hinter verschlossenen Türen für einen Militäreinsatz gegen den Iran aussprachen, während sie öffentlich dem muslimischen Bruderstaat die Stange hielten
Um ehrlich zu sein, wenn ich denn Verdacht hätte, dass mein Nachbar an Atomwaffen rumbastelt, würde ich auch zur Polizei gehen, ihm davon aber nicht unbedingt berichten.
Welchen Gewinn hat der Wikileaks-Nutzer nun also davon, dass das veröffentlicht wurde? Keinen! Im Gegenteil, zwei ohnehin schon unberechenbare totalitäre Regime mit Atomprogramm fühlen sich nun noch mehr in die Enge getrieben und die Diplomatie, die nach wie vor das Beste Mittel zum Verhindern von Waffenkonflikten ist, hat einen Dämpfer bekommen.
Welchen Gewinn hat der Wikileaks-Nutzer nun also davon, dass das veröffentlicht wurde? Keinen! Im Gegenteil, zwei ohnehin schon unberechenbare totalitäre Regime mit Atomprogramm fühlen sich nun noch mehr in die Enge getrieben und die Diplomatie, die nach wie vor das Beste Mittel zum Verhindern von Waffenkonflikten ist, hat einen Dämpfer bekommen.
In diesem Fall finde ich die Empörung der Entlarvten durchaus gerechtfertigt und nachvollziehbar, Geheimnisse haben bisweilen halt doch ihre Berechtigung. Und wer von Euch immer und Jedem die volle Wahrheit erzählt (auch der GEZ, zum Beispiel), der werfe nun den ersten Stein!
Und wie reagiert nun das „Establishment“? Wenig angebracht! In den USA wird ernsthaft über die Liquidierung von Julian Assange diskutiert, Wikileaks wird vom Server geschmissen, Spendengelder werden nicht mehr ermöglicht oder gar eingefroren; letztere Punkte sicherlich nicht ohne Druck von offizieller Seite. Damit schafft man sich keine Sympathien.
[Intermezzo:
Hier komme ich nicht drumrum, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange anzusprechen, die von seinen Anhängern als fingiert verdächtigt werden. Dennoch kann ich sie nicht reinen Gewissens mit in den Paragraph der Reaktionen des „Establishments“ (wer auch immer das genau ist) packen, da es mir hier einfach viel zu viele Ungereimtheiten gibt. Zum Einen ist es sicherlich auffällig, dass gerade jetzt der internationale Haftbefehl erlassen wurde, der Vorwurf bestand aber schon bevor die Hetze nach Assange und Wikileaks begann.]
Im Gegenteil, dadurch wurde eine Wutwelle erheblichen Ausmaßes ausgelöst. Es folgten Hackerangriffe auf VISA, Mastercard, schwedische Regierung und schwedische Staatsanwaltschaft. Auch nicht so das Gelbe vom Ei! Auch hiermit wird es Unentschlossenen erschwert, Sympathien für diese Seite zu entwickeln. Außerdem ist das doch nur Wasser auf die Mühlen der Leaks-Kritikier. Um hier mal ein paar sehr passende Zeilen von Fischmob aus dem Zusammenhang zu reißen:
„Das kann doch nicht die Art sein, wie man Leute überzeugt
kein Wunder, daß man sich so die Anhänger verscheucht
denn der Zweck heiligt die Mittel nicht immer
statt besser macht man Sachen oft nur schlimmer.
Gut – 'ne Lösung hab' ich auch nicht, zumindest keine, die lang hält,
ich weiß nur ganz genau, was mir nicht gefällt
und das ist blinder Aktionismus. – OK, ziemlich leicht gesagt,
doch ist jetzt mehr denn je ein bißchen Nachdenken gefragt.“
Fischmob - "Fickpisse"
Immerhin, das Gehacke scheint gewirkt zu haben, PayPal gibt die Spenden wieder frei. Aber hätte es eine Unterschriftenaktion nicht auch getan? Oder eine Aktion wie vom werten Blogger-Kollegen Daniel Decker, der mit einem begleitenden Schreiben aus Protest gegen die Serversperrung in den USA sein Amazon-Partnerprojekt gekündigt hat. Das sind Aktionen, die die Konzerne bei entsprechenderTeilnehmerzahl unter finanziellen Druck setzen und Unterstützung und Sympathiepunkte beim kleinen Mann schaffen!
Viele im Netz scheren sich aber einen Dreck um Außenwirkung, sehen nur Einen „der Ihren“ angegriffen und die Möglichkeit, gegen das häuserverpixelnde, urheberrechtsachtende Spießertum aufzubegehren, Rebellion zu üben... beschränken sich dann aber doch darauf, virtuelles Popcorn harvorzukramen und begeistert jubelnd den „WWWI“ (world web war I, die Anlehnung an die Weltkriege in einer, im Vergleich doch reichlich banalen Angelegenheit finde ich unter aller Sau!) zu beobachten. Weil Krieg ja so was Tolles ist.
„Tut mir leid, da muss ich kotzen!“
Fischmob - "Fickpisse"
Um nun mal langsam zum Schluss zu kommen: Von den USA ist man Schwarz-Weiß-Denken und blinden Aktionismus ja nun wirklich schon gewohnt, vom Netz als Gesamtheit kann man wohl auch nicht viel mehr erwarten, Schade! Verpasste Chance, „der bessere Mensch“ zu sein.
Terry Pratchett hat halt doch recht:
Terry Pratchett hat halt doch recht:
„The IQ of a mob is the IQ of its least intelligent member divided by the number of people in the mob.“
Terry Pratchett, "Maskerade"
Ich persönlich würde mir, wie so oft, etwas bzw. um Einiges mehr Besonnenheit auf beiden Seiten wünschen. Um noch ein letztes Zitat einzubringen:
Da der entsprechende Absatz doch recht kurz geraten ist reiche ich hiermit nochmal nach: Ich verurteile die Art des Vorgehens gegen Wikileaks und Julian Assange.„Es ist Zeit, sich zusammenzusetzen, ehe man sich auseinandersetzt!“
Fettes Brot - "Schocktherapie"
Einzelne Quellen reiche ich auf Nachfrage gerne nach, das hätte mich jetzt zu sehr in meinem Schreibfluss gestört.
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