Mittwoch, 22. Juni 2011

Hexenjagd unter dem Deckmantel der Religion

Hin und wieder gebe ich gerne den "Passiv-Troll", das heißt ich durchstöbere das Netz nach Artikeln und Videos, von denen mir schon im Vorhinein klar ist, dass entweder deren direkter Inhalt oder aber die Kommentare dazu geeignet sind, mich in Anbetracht der Dummheit, Verbohrtheit, Intoleranz etc. gleichzeitig zu verärgern und mehr noch zu amüsieren; ich lasse mich also quasi durchtrollen.

Mit der Zeit kennt man seine üblichen Verdächtigen und weiß, auf welcher Seite man entsprechende Beiträge dafür findet. kreuz.net ist eine sehr gute Anlaufstelle für das Passiv-Trollen. Ich habe mir bei der Entscheidung, ob ich diese Seite hier erwähnen soll nicht leicht getan, denn nur ungern möchte ich ihre Besucherzahlen in die Höhe treiben. Da ich mir aber einerseits sicher bin, dass meine Leser, sofern sie die Seite nicht ohnehin schon kennen, über die geistigen Kapazitäten besitzen, sich nicht von dem dort veröffentlichten Schund verblenden zu lassen, und ich mit diesem Post andererseits ja durchaus die Absicht habe, "Awareness zu raisen", habe ich ich schließlich dafür entschieden.

kreuz.net ist, dem eigenen Selbstverständnis nach, eine Seite für "katholische Nachrichten. Mit Nachrichten haben die dort veröffentlichten Artikel meines Erachtens allerdings nichts zu tun. Zwar werden nachrichtenähnliche Themen behandelt, für meinen Geschmack lassen die aus einsätzigen Absätzen zusammengeschusterten Artikel allerdings ein gewisses Maß an Objektivität und Ausgeglichenheit vermissen; da werden stark abwertende Bezeichnungen verwendet, Zusammenhänge verschwiegen und Sachverhalte nur unvollständig und einseitig wiedergegeben. Gerade diese plumpe Holzhammer-Moralisierung ist es, die mich immer wieder über diese Seite schmunzeln lässt. Was ich gestern aber dort gelesen habe, ist alles Andere als lustig.

Eines der Lieblingsthemen von kreuz.net ist die Homosexualität, dort gerne als "Homo-Sünde", "Homo-Störung" oder Ähnliches bezeichnet. Während die meisten Beiträge zu diesem Thema dort sich auf das ideologisch gefärbte und verdichtete Reproduzieren von Pressemitteilungen oder Zeitungsartikeln beschränken, ist kreuz.net jüngst auch "investigativ" unterwegs. Soll heißen: die stets anonym bleibenden Schreiberlinge (im Impressum wird lediglich das in den USA ansässige
Sodalitium for ‘Religion and Information’ genannt) durchforsten das Web 2.0 nach "Homo-Gestörten". Neulich zum Beispiel war ein inhaltsleerer Artikel über einen bisexuellen Geistlichen samt Fotostrecke seiner Facebook-Seite zu sehen. Der Sinn und Zweck eines solchen Artikels war mir damals schleierhaft, nach der Lektüre des eingangs erwähnten gestrigen Artikels wächst in mir allerdings eine ungute Vermutung.

Besagter Artikel vom 21.06.2011  befasst sich mit dem Profil eines homosexuellen Priesters auf gayromeo.
"Die Webseite ‘gayromeo.com’", erklärt kreuz.net, "bietet Homo-Gestörten eine Möglichkeit, Unzuchtspartner zu finden und mit ihnen in den ewigen Flammen der Homo-Hölle zu versinken."
Wenn ich schreibe, der Artikel befasse sich mit dem Profil des Priesters, dann ist das schon wohlwollend formuliert, vielmehr schreibt der anonyme Verfasser das Profil ab, von der Augenfarbe über Lieblingsspeisen bis hin zur Körperbehaarung werden die einzelnen Punkte des Profils wiedergegeben.
Selbst bis unter die Gürtellinie, bis zu seinen "persönlichen Vorlieben bei der Ausübung der Homo-Unzucht" wird der gayromeo-Nutzer beleuchtet: "[Er] beschreibt sein Fortpflanzungsorgan als mittellang und unbeschnitten. Er teilt der Welt mit, daß er es liebt, sodomisiert zu werden, und auch liebt zu sodomisieren. Dabei dringt ein Homo-Gestörter dem anderen in die After-Öffnung."

Warum, so fragt man sich, hält es ein "katholisches Nachrichten"-Portal für nötig, das Profil eines Geistlichen zu veröffentlichen? Die Einleitung des "Artikels" legt eine Vermutung nahe. "Eines müssen die Homo-Priester wissen: Ihr Lotterleben mag ihren Bischöfen egal sein – aber vor ‘kreuz.net’ sind sie in ihren Homo-Höllen nicht sicher." Klingt da etwa eine Drohung mit?

Der Username des Nutzers wird, wovon ich an dieser Stelle absehe, von kreuz.net genannt, die Anmerkung "[Name der Redaktion bekannt]" wird gleich hinterhergeschoben. Soll hier Druck aufgebaut werden?  Soll der "Sodom-Entartete" seine Anonymität in Gefahr sehen?
"[Er] war schlau genug, auf dem Portal keine Lichtbilder von sich zu hinterlassen", meint kreuz.net und versucht direkt im Anschluss von dem bewusst grob gehaltenem Profileintrag zum Punkt Wohnort auf die Diözese zu schließen, in der der Priester tätig sein könnte. Und wieder stellt sich die Frage nach dem Warum.

Geht es kreuz.net lediglich um das Aufweisen eines subjektiv von ihnen als solcher empfundenen "Missstand" in der katholischen Kirche? Wenn dem so ist, warum berichten sie dann über konkrete Einzelpersonen? Noch dazu von solchen, über sie sie im Grunde gar nichts wissen (wenn der Redaktion der Name tatsächlich bekannt wäre, weshalb dann das Ratespiel um die Diözese?). Warum veröffentlichen sie das, übrigens nur von registrierten gayromeo-Nutzern einsehbare, Profil bis ins kleinste Detail? Hoffen sie, einer ihrer Leser erkennt den Priester anhand von Körpergröße, Gewicht, gesprochenen Sprachen und Hobbys (oder vielleicht auch nur an den Maßen seines "Fortpflanzungsorgans" – hihi)? Und wenn ja, was dann? Hofft kreuz.net, dass dieser eifrige Leser dann den "Sodomisten" von seiner Störung heilt? So, wie in einem Kommentar zu dem "Artikel" zu lesen ist: "Homos sind kranke Menschen die der Behandlung bedürfen. Kastration ist eine Möglichkeit." – ein Kommentar übrigens, von einem kreuz.net-Nutzer, der an anderer Stelle aus dieser "Möglichkeit" schon einmal eine Forderung gemacht hat.

Ich möchte kreuz.net nichts unterstellen, vielleicht hegen sie auch "nur" die Hoffnung, die ein anderer Kommentator äußert: "dennoch ist davon auszugehen, das eine Namensnennung von Sodomit [Username], durch Kreuz.net ein erster Schritt zur Heilsfindung des selbigen sein wird". Was auch immer die Beweggründe von kreuz.net sein mögen, auf mich wirkt die Vorgehensweise, nur für einen definierten Kreis Gleichgesinnter gedachte persönliche Informationen zu erschleichen und unautorisiert zu veröffentlichen, reichlich inquisitorisch – McCarthy lässt grüßen. Und, vielleicht sehe ich hier auch zu schwarz und glücklicherweise überschätze ich vermutlich den Einfluss von kreuz.net, die Vorstellung, dass "Reli-Gestörte" jetzt losziehen und jeden Geistlichen, der zufällig in einer der vier möglichen Diözesen wirkt und ähnlich durchschnittlicher Statur ist wie der "Gesuchte", der "Homo-Sünde" verdächtigen, womöglich sogar versuchen, ihm "den Teufel auszutreiben", diese Vorstellung bereitet mir ernsthafte Sorgen.

Sind wir denn schon wieder so weit?

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