Mittwoch, 28. September 2011

Is My Son Gay?-App sorgt für Empörung

Gestern hatte ich einen Tweet in meiner Timeline, den ich gerade nicht mehr wiederfinde, in dem aber zu lesen war, dass Stephen Fry, zusammen mit Boy George und George Michael das Entfernen einer App vom Android Market forderten. Wenn Stephen Fry etwas fordert, dann kann man als vernünftiger Mensch primär erst mal provisorisch die gleiche Haltung annehmen. Als vernünftiger Mensch läuft man aber auch nicht nur einfach hinterher, sondern informiert sich und überprüft seine Meinungen. Das habe ich dann auch getan.

Die fragliche App nennt sich "Is My Son Gay?" und ist die englische Übersetzung der französischen App "Mon fils est-il gay?" von Emmene Moi. Sie ist für knapp 2€ erhältlich und richtet sich an Mütter, die die Sorge plagt, ihr Sohn könne einer von denen sein. Und weil die einfachen Methoden des Abwartens oder Nachfragens zu nervenaufreibend sein beziehungsweise den Jungen auf dumme Ideen bringen könnten, bietet die App zwanzig Ja/Nein-Fragen, nach deren Beantwortung blitzschnell Gewissheit errechnet wird.

Die zwanzig Fragen lauten, der französischen Website Rue89 und meiner Übersetzung zufolge, so:
  1. Zieht er sich gerne schick an? Achtet er auf sein Äußeres und auf Marken?
  2. Mag er Fußball?
  3. Haben Sie sich vor seiner Geburt gewünscht, er würde ein Mädchen?
  4. Hat er scih schon einmal geprügelt oder an einem Kampf beteiligt?
  5. Liest er Sportzeitungen?
  6. Hat er eine beste Freundin?
  7. Mag er Mannschaftssportarten?
  8. Ist er schamhaft/prüde?
  9. Ist er Fan von Divas?
  10. Verbringt er viel Zeit im Badezimmer?
  11. Hat er ein Zungen-, Augenbrauen-, Nasen- oder Ohrenpiercing?
  12. Macht er sich zurecht, ehe er sich in der Öffentlichkeit sehen lässt?
  13. Haben Sie Zweifel bezüglich seiner sexuellen Orientierung?
  14. Sind Sie geschieden?
  15. Mag er Musicals?
  16. Hat er ihnen jemals eine Freundin vorgestellt?
  17. Ist sein Vater sehr autoritär?
  18. Gibt er eine gewisse Abwesenheit des Vaters in seinen Familienverhältnissen?
  19. War er in seiner Jugend eher schüchtern und zurückhaltend?
  20. Hat er ein angespanntes Verhältnis zu seinem Vater?
Je nachdem, wie sie die Fragen beantwortet, bekommt die besorgte Mutter nach der Auswertung diese Diagnosen:
"Sie müssen sich keinen Sorgen machen, ihr Sohn ist nicht schwul. Es besteht also die große Chance auf Enkelkinder und die Freuden, die diese mit sich bringen!"
 oder:
"Es bringt Ihnen nichts, sich etwas vorzumachen! [...] Er ist schwul! [...] AKZEPTIEREN SIE IHN! Er fühlt sich zu Jungen hingezogen, so wie sie sich zu Männern."
Ob diese beiden Endergebnisse Alles sind, was die App ausspuckt, oder ob es bei entsprechender Beantwortung der Fragen auch Mitteldinger gibt, konnte ich nicht herausfinden, ohne Geld für die App (und ein Android-Phone) auszugeben, also habe ich es gelassen. Von den Fragen ausgehend vermute ich mal, die Macher der App haben auch bei der Auswertung keinen großen Wert auf Differenziertheit gelegt.

Das also ist die App, die schon in Frankreich, nach ihrer Übersetzung nun auch weltweit für Empörung sorgt. Sie basiert auf ausgelutschten, beleidigenden Klischees, vermittelt den Eindruck eines "erprobten" [sic] Testverfahrens, während sie bestenfalls auf dem bröseligen Fundament diletantischer Alltags-Psychologie fußt und mit dem Aspekt der Unmöglichkeit der Kindsgeburt greift sie einen der Punkte auf, der es vielen Schwulen nicht nur besonders schwer macht, sich mit ihrer Sexualität abzufinden, sondern der auch nicht selten zu gewissen Schuldgefühlen den auf Enkelkinder wartenden Eltern gegenüber führt.

Der Macher der App, Christophe de Baran, zeigte sich Rue89 gegenüber erstaunt und schockiert über die heftigen Reaktionen auf seine App. Sie sei aus einer "spielerischen" Herangehensweise erdacht worden, berufe sich auf keinerlei wissenschaftliche Grunglagen, sondern vielmehr auf das Prinzip, dass gewisse Verhaltensweisen, soziologische udn familiäre Umstände Hinweise auf die Sexualität geben können, oder auch nicht. "Was ist daran schlimm, wenn eine Mutter wissen möchte, ob ihr Sohn schwul ist?", fragt er, "Und was ist daran schlimm, wenn er es ist? Wenn die Antwort auf diese beiden Fragen 'Nichts' lautet, dann gibt es keinen Grund, warum diese App Anstoß erregen sollte." Abschließend betont er, das einzige Anliegen der App sei, "die Situation zu dedramatisieren und Müttern zu helfen, die Homosexualität ihres Sohns zu akzeptieren".

Nun schaffen Großbuchstaben aber bestenfalls nur in sehr geringem Ausmaß Akzeptanz, das Bemühen stereotyper Extremfälle wirkt, so wage ich zu hypothetisieren, bei diesem Anliegen sogar eher kontraproduktiv.

Wie stehe ich nun also zu dieser App? Bleibe ich bei meiner ersten Zustimmung zur Forderung Stephen Frys und anderer, die Abschaffung der App zu fordern? Nein, bleibe ich nicht. Ohne Zweifel ist die App strunzdumm, beleidigend und sowieso absoluter Humbug. Aber sie gleich verbieten? Der am ehesten zutreffende Grund für Google, die App vom Markt zu nehmen, wäre das, was in Googles Richtlinien als Hate Speech bezeichnet wird:
We don't allow the promotion of hatred toward groups of people based on their race or ethnic origin, religion, disability, gender, age, veteran status, or sexual orientation/gender identity.
Aber ist das in diesem Fall wirklich gegeben? Meiner Ansicht nach nicht, die Appfördert nicht explizit Homophobie, schlimmstenfalls schlägt sie implizit in bereits bestehende Kerben. Und, wenn ich ehrlich bin, Eltern, die sich diese App kaufen, denen gönne ich die zwei zum Fenster herausgeschmissenen Euro Verlust für etwas, was ihnen jeder Stammtisch nach drölf Herrengedecken auch hätte zusammenschustern können.

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